Kaschmir, die Mafia von Srinagar

Die Flugverbindung über Delhi funktioniert gut, in Delhi muss ich allerdings den Terminal wechseln und dafür mit einem Bus durch die halbe Stadt fahren, die Temperaturen sind wie im Backofen, wie hält man das aus? Wer es sich leisten kann flüchtet, z. B. nach Kaschmir mit seinem milden, fast europäischen Klima. Srinagar und Umgebung ist voller indischer Touristen, die berühmten Hausboote auf den Seen der Stadt, von denen es 1500 Stück geben soll, sind ausgebucht. Die großen und teuren, mit Schnitzereien verzierten Unterkünfte, sind ein britisches Kolonialerbe und oft in Familienbesitz, so auch meines, das „Young Manhattan“. Die Betreiber, schon von einem Briten Ende des 19. Jahrhunderts als Hausboot-Mafia bezeichnet, sind berühmt-berüchtigt dafür, einem alles mögliche aufzudrängen, Touren, Fahrer, Trekking, Shopping, natürlich maßlos überteuert, konkrete Preise werden ungern genannt, die Überraschung kommt am Schluss. Wie geschickt, dass man an Bord des Hausbootes gleichsam gefangen ist, nur mit einfachen Holzbooten oder mit Dach ausgestatteten Gondeln, genannt Shikara ans Ufer gelangt. Wenn man die Paranoia unterdrückt, ist es verführerisch, auf der kleinen Terrasse des Hausboots die Stunden verstreichen zu lassen, den vielen Wasservögeln, wechselnden Lichtstimmungen und dem gemächlichen, nicht motorisierten Bootsverkehr zuzuschauen und sich mit Kawah, mit Ingwer, Zimt und Kardamom gewürztem Grüntee verwöhnen zu lassen.

An meinem ersten Tag, einem Freitag lasse ich mich zu einer Tour mit privatem Fahrer überreden, die militärische Präsenz mit vielen Checkpoints ist sehr auffällig, die Moscheen zum Freitagsgebet voll, den ganzen Tag und die ganze Nacht über verteilen Lautsprecher Gebetsrufe und Koranrezitationen. Ein Hindutempel auf einem Hügel bietet einen Überblick über Stadt und Seen und legt eine noch viel penetrantere, nie verebbende Geräuschkulisse über die Stadt (ist das vielleicht ein Statement der antimuslimischen indischen Zentralregierung?)
Die berühmten, in Terrassen angelegten Gärten der Moghul Herrscher erscheinen für Hitze geplagte Inder sicher paradiesisch, mir aber eher unspektakulär.

Natürlich gehört zur Tour auch der Besuch einer Teppichfabrik, die Produkte können mich aber als Iranreisender nicht begeistern, Kaschmirschals gibt es auch, 200 Euro das Stück, ansonsten sind aufwändig bemaltes Papiermaché und Holzschnitzereien im Angebot.

Abends esse ich auf dem Hausboot, was sich rächt, den nächsten Tag verbringe ich auf dem Boot, zwischen Terrasse und Toilette.
Meine Gastgeber drängen mich täglich mehrfach auf dem Buchungsportal im Internet eine gute Bewertung zu schreiben (und telefonieren mir später noch wochenlang deswegen hinterher), schon das eigentlich ein Grund für ein vernichtendes Urteil. Als ich nach fünf Tagen meine Gefängnisinsel verlasse bin ich erleichtert, endlich frei!
Die Erfahrung eines Ortes wird immer durch die menschlichen Begegnungen mit geprägt, in diesem Fall ist mein Eindruck entgegen meinen Erwartungen eher negativ.

Ach übrigens: in Srinagar liegt Jesus begraben, der nach seiner überlebten Kreuzigung nach Kaschmir ausgewandert ist und hier im biblischen Alter von 120 Jahren gestorben ist, echt wahr.